Seit einigen Tagen liest man auf Facebook und in diversen WhatsApp Sportgruppen, dass man doch bitte im Zuge der Corona-Krise auf Sport gänzlich verzichten solle. Teils entwickeln sich daraus ganz interessante Diskussionen über das Für und Wider mit, teils festen Fronten.

Die Idee dahinter ist einerseits, dass man durch den Verzicht von sportlichen Aktivitäten in der Gruppe, das Infektionsrisiko minimiert oder gänzlich umgeht. Und andererseits, dass man sich keine Sport-Verletzungen zuziehen kann, welche zu einem möglichen Aufenthalt im Krankenhaus führen könnten und damit ärztliches Personal bindet.

Wenn man sich daran strikt halten möchte, würde dies sämtliche Sportarten einschließen. Egal ob draußen in der Natur, alleine, in der Gruppe oder in den eigenen vier Wänden. Denn Verletzungen ist es schließlich ziemlich egal wo und wann sie auftreten. Für mich hat diese Idee des Sportverbots allerdings mehrere Schwachstellen. Da mir das Thema nicht aus dem Kopf ging, hab ich mal versucht die Faktenlage für mich zu sortieren und gebe hier meine bescheidene Meinung zu dem Thema kund.

Freiwilligkeit

Derzeit, wo in Deutschland noch keine Ausgangssperre verhängt wurde, basiert der Sportverzicht auf Freiwilligkeit. Und Freiwilligkeit und Einschränkungen sind zwei Dinge, für die es unzählige Beispiele gibt, dass sie noch nie gut funktioniert haben. Zum Beispiel, dass laut Umfragen die Menschen freiwillig mehr Geld für „gutes Fleisch“ im Supermarkt zahlen würden, wenn dies angeboten würde. Die Realität sieht gänzlich anders aus. Oder ein anderes Beispiel, eine der vielen wirkungslosen freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Ich finde, ohne Druck von außen, also eines Verbots, kommen wir bei dem Thema mit Freiwilligkeit nicht weiter. Und schließlich, wenn die Regierung bei diesem Thema dringenden Handlungsbedarf sähe, würde sie sicherlich entsprechend handeln. Aber vielleicht kommt es ja tatsächlich noch dazu.

Abgrenzung

Eine Frage, die sich mir sofort stellte, war: Warum sollte ein derartiger Verzicht nicht auch auf andere Lebens-Bereiche ausgedehnt werden? Das Hauptargument gegen die sportliche Betätigung liegt bei der Gefahr möglicher Verletzungen. Wie sieht es aber aus mit (nicht zwingend nötigen) Haushalts- und Gartenarbeiten die auch sehr Unfallträchtig sind? Sollte man den Leuten dann im Falle einer Ausgangssperre (oder auch bereits jetzt) es nicht dringendst verbieten, in ihrem Haushalt oder Garten tätig zu werden? Zumal laut Statistik noch immer der Verkehrssektor am Unfall trächtigsten ist. Laut eines Berichts der Versicherer von 2016 (den wir jetzt einfach mal als Basis nehmen), ereignet sich nur jeder neunte Unfall beim Sport (also ca. 11 % aller Unfälle sind Sportunfälle). Und davon wiederum ist jeder dritte Unfall dem Fußball zuzuschreiben. Dicht gefolgt vom Skifahren!

Damit gehen ca. 70 % aller Sportunfälle auf den Fußball und Skifahren zurück. Und Bingo, beides sind Sportarten die derzeit kaum, bis überhaupt nicht ausgeübt werden können. Dies alleine sollte dem Gesundheitssystem doch einen großen Puffer verschaffen. Alle verbleibenden Sportarten zusammen genommen, wobei auch wieder ein großer Teil der restlichen Unfälle auf Ballsportarten (Handball, Basketball) zurückzuführen ist, macht damit nur 3 % aller Unfälle aus. In der Gesamtstatistik eines Krankenhauses dürfte sich dieser Wert zudem nochmals stark verringern, da der Großteil der Patienten wohl eher wegen anderer Erkrankungen behandelt wird.

Ich persönlich halte es daher selbst in der aktuell kritischen Lage für ziemlich vertretbar, seine Joggingrunde (aber bitte alleine) im Park zu drehen oder zu Hause eine Yoga-Session zu machen.

Und dabei sei noch erwähnt, dass selbst Ärzte das Radfahren oder Laufen in der aktuellen Situation empfehlen. Einen interessanten Beitrag in Bezug auf Patienten mit COPD gibt es hier zu lesen.

Zeitliche Dauer

Immer deutlicher scheint auch abzusehen, dass wir uns auf eine monatelange Reduzierung der sozialen Kontakte einstellen müssen. Infizierte werden überdies einige Wochen in Isolation verbringen und all dies dürfte negative physische Effekte mit sich bringen, die Sport auch im Nachhinein lindern kann.

Durch die vielen bisher verabschiedeten Maßnahmen soll eine zeitliche Streckung der Corona-Infektion erreicht werden. Manch ein Virologe spricht von Monaten, bis hin zu 1 oder 2 Jahren in denen das öffentliche Leben pausieren sollte. Je nachdem wie erfolgreich die einzelnen Maßnahmen sind.

Dies würde aber bedeuten, dass der Sportverzicht aus den eingangs erwähnten Gründen, sich mindestens über diesen Zeitraum erstreckt. Also Monate bis Jahre. Nicht nur für Profisportler, auch für die vielen Millionen Hobbysportler dürfte dies ein Worst-Case-Szenario und kaum auszuhalten sein. Und selbst wenn eine Ausgangssperre kommt, früher oder später halten die Menschen es ohne Sport oder ausreichend körperlicher Betätigung (die immer mit einem Unfallrisiko verbunden ist) nur schwerlich aus und die ersten werden versuchen nach Schlupflöchern zu suchen um die Sport- oder Ausgangssperre zu umgehen. Die erste Möglichkeit, welche einem in den Sinn kommt, ist den Sport im Dunkeln auszuüben. Radfahren, joggen, spazieren gehen im Wald und im Dunkeln sieht es keiner, der es verbieten kann. Oder die Chance ist zumindest gering. Wo die Chance allerdings hoch ist, ist die Gefahr sich eine Verletzung zuzuziehen, wenn man Nachts Sport treibt. Wie schnell ist im Schein der Taschenlampe eine Wurzel übersehen und man stürzt.

IMHO

Meiner bescheidenen Meinung nach ist damit ein freiwilliges Sportverbot- oder Verzicht, für mich derzeit keine Option. Man sollte sicherlich überlegen, ob es weiterhin Sinnhaft ist, bestimmte Hochrisiko-Sportarten auszuüben, die ein erhöhtes Verletzungs- oder Unfallrisiko mit sich bringen. Bei den weiteren Volkssportarten wie Joggen und Rad fahren bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass ich sie weiterhin ausführen werde, insofern keine allgemeine Ausgangssperre gilt, von der ich annehme, dass sie nicht monatelang aufrechterhalten wird oder werden kann. Ich infiziere durch das Ausüben dieser Sportarten niemanden unmittelbar und anhand der Statistik handelt es sich zumindest beim Joggen, Radfahren, Wandern und spazieren gehen kaum um Sportarten, die ein hohes Unfallrisiko mit sich bringen.

Wichtigstes Gebot der Stunde ist ohnehin, den Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden. Damit ist deutlich mehr gewonnen und der Allgemeinheit gedient, als auf Sport zu verzichten. Nicht zuletzt, weil durch dessen Ausübung der eigene Körper gestärkt wird und dies anderen Krankheiten entgegenwirkt, welche beim Sportverzicht auch zu einer Inanspruchnahme des Gesundheitssystems führen könnte. Und hier führt der Verzicht dann genau zum Gegenteil der eigentlichen Idee.

Und nicht zuletzt gibt es vom österreichischen Radsportverband auch ein sehr vernünftiges Statement zu dem Thema.